Zwischen Komödie und Tragikomödie: Donizettis Don Pasquale in Hamburg und in Stuttgart

Als dicken aufgeblasenen Kerl zeigt ein zeitgenössischer Stich den Bariton Luigi Lablache in seiner Rolle als Don Pasquale bei der Uraufführung von Gaetano Donizettis gleichnamiger Oper 1843 – und damit ist auch schon der Stil vieler Inszenierungen und Gesangsdarstellungen angedeutet: Alter reicher Zausel heiratet junges hübsches Ding und wird betrogen – ein typisches Thema der Commedia dell’arte. Der reiche Alte ist auch Ausgangspunkt zweier jüngerer Inszenierungen an der Hamburgischen Staatsoper und der Oper Stuttgart – und doch könnten die beiden Inszenierungen unterschiedlicher kaum sein.

Ambrogio Maestri, Kartal Karagedik © Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Schon mit dem Bühnenbild charakterisiert Regisseur David Bösch in Hamburg seinen Pasquale. So beherrscht ein riesiger Tresor das von Patrick Bannwart gestaltete Bühnenbild, und wenn sich der Tresor öffnet, offenbart sich darin auf einem Berg von Geldscheinbündeln thronend der Hausherr. Aber Bösch gelingt es, die Typenkomödie, deren Vorbild aus dem 16. Jahrhundert stammt, bruchlos zu einem Drama von heute zu gestalten. Er hat die Figuren, so typenhaft sie auch sind, genau durchdacht. Denn Donizetti hat seine Figuren zwar typenhaft angelegt, aber in seinem Libretto durchaus detailliert charakterisiert. So ist Pasquale ein „alter Junggeselle, altmodisch, geizig“, aber auch „im Grunde ein guter Mann“, und die junge Witwe Norina, die in einer Verkleidung dem alten Pasquale als harmloses Mädchen vom Lande vorgestellt wird, kann zwar „keinen Widerspruch ertragen“, ist aber doch auch „ehrlich und liebevoll“: Donizetti wollte keine Commedia dell’arte komponieren und bestand darauf, dass die Sänger der Uraufführung Kleider ihrer Zeit trugen, wollte also eine zeitgemäße und damit „realistische“ Komödie auf der Bühne sehen.

Dem folgt Bösch durchaus. Er hat die Figuren, so typenhaft sie auch sind, genau durchdacht. So weiß sein Pasquale, dass er in die Jahre gekommen ist, auch ein wenig Fett angesetzt hat, und dass er für eine junge Frau etwas mehr tun muss, als nur mit den Geldscheinen zu wedeln, und also tritt er in hellblauem Trainingsanzug auf und besteigt alsbald einen Hometrainer, auf dem er – ganz dem Duktus der Musik in diesem Augenblick folgend – langsam in die Pedale tritt, um dann im Überschwang des Ehrgeizes so schnell zu werden, dass sein Blutdruck, wie eine Videoeinblendung zeigt, ins Astronomische steigt.

Ioan Hotea, Enzo Capuano © Foto: Martin Sigmund

Ähnlich „lebensnah“ ist der Don Pasquale, den Jossi Wieler und Sergio Morabito vor vier Jahren an der Oper Stuttgart auf die Bühne brachten. Er ist ein seriöser Unternehmer in modernem Büro. Und doch ist dieser Pasquale eine ganz andere Figur. Bei Bösch ist er gewissermaßen auf dem Zenit seines finanziellen Erfolgs, buchstäblich so auf seinem Berg von Dukaten. Wieler und Morabito dagegen haben nachgefragt, wie dieser Mann zu seinem Reichtum kam, und präsentieren während der Ouvertüre in einem Zeichentrickfilm seine Vorgeschichte, denn auch Don Pasquale war einmal jung – in diesem Fall ein junger Mann der Flower-Power-Zeit mit langen lockigen Haaren, Kleidern in poppigen Farben, einer E-Gitarre und einer Harley Davidson, auf der er mit einem hübschen Flower-Power-Girl durch die Lande düst. Es ist der Lebenstraum des jungen Pasquale, dem die väterliche Autorität allerdings ein jähes Ende setzt: Die langen Haare fallen, die Popkleidung weicht dem seriösen Anzug, und der junge Mann wird aus den Höhenflügen heruntergezogen und in einen Schreibtischstuhl gesetzt – wo er immer noch sitzt.

Dieser Pasquale genießt nicht seinen Reichtum wie bei Bösch, er verwaltet ihn, und sein Leben ist dahin. Wenn in Hamburg Pasquale eine junge Frau sucht, ist das für ihn das Sahnehäubchen auf einem erfolgreichen Leben, wenn in Stuttgart Don Pasquale, einige Jahrzehnte älter als der junge Hippie im Film, jetzt auf Brautschau gehen will, dann holt er nur das nach, was ihm sein Vater verwehrt hatte, indem er ihn in das Familienunternehmen holte. Und was das damals bedeutete, macht das Bühnenbild von Jens Kilian deutlich. Der große Schreibtisch steht in einem Raum, vor den sich immer wieder ein weißes Gitter schiebt: Dieser Don Pasquale sitzt in einem Gefängnis, von Jugend an, seit ihn sein Vater zu dieser Existenz verdonnert hat, und sein Heiratswunsch ist der Versuch, diesem Gefängnis zu entkommen.

Und so endet die Oper denn auch in Hamburg und in Stuttgart ganz unterschiedlich. In Hamburg akzeptiert Pasquale die Lehre, die ihm Norina und deren Geliebter, Pasquales Neffe Ernesto, hatten verpassen wollen: So ergeht es einem Alten, wenn er sich ein junges Glück angeln will. Am Ende sitzen alle friedlich vereint am Campingtisch und teilen sich eine Pizza.

Wenn in Stuttgart alle feiern und Ernesto und Norina doch noch heiraten, steht Don Pasquale am Rand des Geschehens – ein Mann, der nicht zum frohsinnigen Treiben gehört und auch nie gehören wird, ein Ausgestoßener, eine tragische Figur. David Bösch hat in Hamburg letztlich doch eine Art moderne Commedia dell’arte inszeniert. Jossi Wieler und Sergio Morabito haben in Stuttgart einen Malvolio entdeckt, dem die Gesellschaft übel mitspielt – eine Figur aus dem psychologisch so tiefschürfenden Figurenkosmos eines William Shakespeare.

Bleibt nur zu hoffen, dass dieser Geniestreich an Opernregie wieder auf den Stuttgarter Spielplan gelangt. Die Inszenierung von David Bösch ist als Stream on demand im Internet bis 27.8.2022 abzurufen:

https://www.arte.tv/de/videos/108631-001-A/don-pasquale-aus-der-staatsoper-hamburg/

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