Ein Mädchen in einer grausamen Welt. „Salome“ an der Oper Stuttgart

Sie gilt neben Alban Bergs Lulu wohl als der Inbegriff weiblicher Verführung auf der Opernbühne, vielleicht auch als Femme fatale. Von wilder Liebe zum Propheten Jochanaan ergriffen – das ist Johannes der Täufer in der Bibel -, der sich ihrer Begierde aber verweigert, fordert sie am Ende den Tod des Propheten. Er wird ihr entsprechend ihrem Wunsch auf einem Tablett gereicht und am Ende ihrer großen Schlussarie küsst sie ihn. Die Rolle ist eine Herausforderung. Zum einen, weil sie sich den Kopf des Geliebten mit einem erotischen Tanz der sieben Schleier erkauft, was nicht jede Sängerin ohne weiteres gern macht, zum zweiten, weil sie zwar noch ein Mädchen ist, stimmlich aber hochdramatisch sein muss. An der Oper Stuttgart hat der russische Regisseur Kirill Serebrennikov eine neue Sichtweise auf die Bühne gebracht.

Salome von Richard Strauss 22. November 2015 Musikalische Leitung: Roland Kluttig, Georg Fritzsch Regie und Kostüme: Kirill Serebrennikov Bühne: Pierre Jorge Gonzalez Video: Ilya Shagalov Licht: Reinhard Traub Dramaturgie: Ann-Christine Mecke Auf dem Bild: Iain Paterson (Jochanaans Stimme) Foto: A.T. Schaefer

Iain Paterson (Jochanaans Stimme). Foto: A.T.Schaefer

Jochanaan, der Prophet, kommt in dieser Oper eigentlich nie gut weg. Letztlich ist er ein Eiferer, der kaum Konkretes von sich gibt und nur immer wiederholt, der Erlöser werde kommen. Strauss macht das in der Musik überdeutlich, wenn er ihn immer dieselben musikalischen Phrasen singen lässt, und das mit Stentorstimme. Iain Paterson gestaltet ihn mit klangschönem und, der Rolle entsprechend, fast orgelndem Bariton.

In der Inszenierung von Kirill Serebrennikov hat dieser Prophet noch erheblich düsterere Seiten. Serebrennikov lässt ihn zweimal auftreten, einmal als Stimme des Propheten, hierzu steht Iain Paterson im grauen Gesellschaftsanzug auf der Bühne. Der eigentliche Jochanaan wird gespielt von Yasin el Harrouk; dieser Jochanaan ist kein Prophet der Juden. Er tritt als Terrorist auf, der von der Staatsmacht gefangengenommen wurde. Serebrennikovs Inszenierung ist sarkastisch, und zugleich politisch realistisch. Jeder eifernde Prophet, so die Botschaft, hat gefährliches Potential. In diesem Fall kommt er aus dem Lager des islamischen Extremismus. Während seiner Prophezeiungen sehen wir auf einer Videoleinwand ein Erschießungskommando am Werk, und wenn er verheißt, dass im künftigen Reich Feigen vom Himmel fallen würden, dann fallen auf der Videoleinwand Bomben aus Flugzeugen. So ist denn Salome vor allem fasziniert von seiner Stimme, der Stimme des Propheten, die auch dann noch weiterwirken wird, wenn sie ihn enthaupten lässt.Simone Schneider wirkt geradezu mädchenhaft jung, ist von kleiner Statur, verfügt aber über eine Stimme, die vom Pianissimo bis zum – stets wohlklingenden – Fortissimo alle Register beherrscht.

Salome von Richard Strauss 22. November 2015 Musikalische Leitung: Roland Kluttig, Georg Fritzsch Regie und Kostüme: Kirill Serebrennikov Bühne: Pierre Jorge Gonzalez Video: Ilya Shagalov Licht: Reinhard Traub Dramaturgie: Ann-Christine Mecke Auf dem Bild: Simone Schneider (Salome) Foto: A.T. Schaefer

Simone Schneider (Salome). Foto: A.T. Schaefer

Das ist psychologisch subtil von Regisseur Kirill Serebrennikov gedeutet, wie alles in dieser Inszenierung. Herodes ist ein Psychopath, an die Macht gekommen allein durch die Heirat von Königin Herodias. Er leidet unter Verfolgungswahn. Folglich ist sein Palast durchsetzt von Überwachungskameras, deren Bilder alle Räume wiedergeben und von einem Sicherheitsteam auf Monitoren analysiert werden. Matthias Klink liefert eine faszinierende psychopathologische Charakterstudie, lässt ständig argwöhnisch die Blicke schweifen, durchmisst hektisch den Raum, kann keine Sekunde ruhig sitzen bleiben.

Salome von Richard Strauss 22. November 2015 Musikalische Leitung: Roland Kluttig, Georg Fritzsch Regie und Kostüme: Kirill Serebrennikov Bühne: Pierre Jorge Gonzalez Video: Ilya Shagalov Licht: Reinhard Traub Dramaturgie: Ann-Christine Mecke Auf de

Matthias Klink (Herodes), Simone Schneider (Salome). Foto: A.T.Schaefer

Während er seine Stieftochter mit Blicken verschlingt, treibt seine Frau es derweil im Schlafgemach gleich mit zwei schwarzen Lovern. Das ist eine in jeder Faser dekadente Welt, gegen die religiöse Fanatiker aufbegehren, auch das hat Serebrennikov genau analysiert, denn Jochanaan richtet seine Anklagen nicht gegen die Andersgläubigen, sondern gegen die verkommene Königin Herodias. Dirigent Roland Kluttig bringt die Brachialgewalt der Musik voll zur Geltung und fächert zugleich die Partitur fast kammermusikalisch auf. Diese Welt ist so verdorben, dass Salome sich nicht einmal bemühen muss, beim Tanz der sieben Schleier lasziv erotisch zu wirken. Wenn die ersten exotisch schwülen Klänge zum Tanz der sieben Schleier erklingen, hat sich Salome, die bis dahin wie ein Teenager in schwarzem Kapuzenshirt aufgetreten ist, lediglich ein Tüllröckchen umgebunden. Dann setzt sie sich auf eine Treppe, mehr muss sie auch nicht tun, denn Herodes blickt nicht einmal zu ihr, sondern gibt sich Tagträumen von einem glücklichen, aller Sorgen baren Herrscher hin: Auf dem Video sehen wir Angela Merkel lachen und beim Tor der Deutschen bei der WM jubeln.

Es ist eine Inszenierung der erhellenden Bilder. Serebrennikovs Deutung ist in jedem Detail in sich schlüssig und durchdacht. Da der Prophet bei ihm ein Islamist ist, fehlen auch nicht Videofilme von Flüchtlingsströmen, die auf der Flucht vor der Gewalt Zuflucht in Herodes‘ Palast suchen. Wenn Jochanaan seine prophetischen Sprüche intoniert, laufen sie in arabischer Schrift über die Leinwände. Und wenn Salome am ende dem Haupt des Jochanaan zuruft, seine Stimme sei für sie wie ein Weihrauchgefäß gewesen, steht Iain Patersen, die Stimme des Propheten in dieser Inszenierung, auf und geht. Seine Stimme, das weiß er, wird bleiben, auch wenn der Körper tot ist. So ist eine Inszenierung entstanden, die Richard Strauss gerecht wird und zugleich hochaktuell ist.

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