Kunst lässt sich ganz allgemein als Bild einer Welt neben der uns vertrauten definieren. Sie kann realistisch sein und kaum Unterschiede zu unserem Alltag aufweisen, oder abstrakt, sie kann durch konkrete Hinweise etwa in Titeln Deutungssichtungen nahelegen oder der subjektiven Interpretation alle Wege offen lassen. Die neue Ausstellung im Kunstverein Reutlingen vereint beide Positionen geradezu im Extrem.
Vom Wesen der Dinge: Wilhelm Laages Blick auf Pflanzen und Landschaften im Kunstmuseum Reutlingen
Es dauerte lange, bis Wilhelm Laage endlich zu seiner Kunst fand. Der Vater betreute einen Friedhof, die Mutter arbeitete in einer Bleicherei, wo der Sohn gleichfalls in jungen Jahren tätig war; so kam Laage erst mit zweiundzwanzig auf die Gewerbeschule und durch die Förderung des Kunsthistorikers Alfred Lichtwark mit fünfundzwanzig an die Kunstakademie, wo er Meisterschüler bei dem Maler Leopold von Kalckreuth wurde. Dass er, Jahrgang 1868, alsbald beim Holzschnitt als bevorzugtem Medium landete, war für die Zeit ungewöhnlich, wurde der Holzschnitt doch erst Ende des 19. Jahrhunderts allmählich als Kunstform entdeckt. Laage wurde ein Meister darin, wie jetzt eine Ausstellung im Kunstmuseum Reutlingen wieder einmal zeigt.
Der Schädel (Neues Leben; Tulpen und Schädel), 1901. Foto: U. Schäfer-Zerbst
Mathematische Fantasie: „Konkrete Progressionen“ im Kunstmuseum Reutlingen/konkret
Nichts sei konkreter als eine Linie, eine Farbe und eine Oberfläche, so formulierte es Theo van Doesburg 1930 in seinem Manifest der Konkreten Kunst. Es geht um Form und Farbe und deren gegenseitige Abhängigkeit und Beeinflussungen, um strenge, fast wissenschaftliche Erkundungen von Gesetzmäßigkeiten, die, so hat es sich in der Richtung ab den 50er Jahren entwickelt, vor allem in Serien durchexerzierbar sind. „Konkrete Progressionen“ nennt daher ganz folgerichtig die für konkrete Kunst zuständige Abteilung des Kunstmuseums Reutlingen ihre neue Ausstellung.
Von des Gedankens Blässe angekränkelt? Der neue Abend am Stuttgarter Ballett: Creations XIII-XV
Texte in Programmheften zu Ballettabenden sind in der Regel nicht allzu ausführlich und geben meist nur einige wenige Hinweise zur Deutung dessen, was auf der Bühne zu erwarten ist, doch ist Ballett ja auch eine Sprache des Tanzes, nicht der Worte. Beim neuen Premierenabend des Stuttgarter Balletts mit Creations XIII-XV braucht man sich dagegen über zu wenig Text nicht zu beklagen.
Morgann Runacre-Temple: Averno. TänzerInnen: Matteo Miccini, Ensemble © Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
Nichts ist, wie es scheint. Robert Barta in der Städtischen Galerie Tuttlingen
Bildende Kunst ist, wie der Begriff nahelegt, gestaltete Wirklichkeit. Diese kann sich der Welt unseres Alltags annähern, wie es die Künstler im Realismus versuchten, aber sie ist doch eine von der realen Welt abgehobene Sphäre, auch wenn das seit dem 20. Jahrhundert nicht immer erkennbar ist, wie Phänomene wie „Readymades“ belegen, die ein Marcel Duchamp vor hundert Jahren populär machte. Eine Ausstellung mit Werken von Robert Barta in der Städtischen Galerie Tuttlingen hat genau diese Phänomene im Zentrum, und schon der Ausstellungstitel ruft fragende Mienen hervor: „Jung werden dauert“.
„Remember Me.“ Das Stuttgarter Ballett zum Gedenken an John Cranko
Kann man nach der Callas noch die Tosca singen? Man kann, auch wenn die Callas gerade in dieser Rolle Unnachahmliches geleistet hat. Man braucht nur eine entsprechende – keineswegs der Callas verwandte – Stimme und eine starke Persönlichkeit. Dieselbe Frage kann man auch bei John Crankos Ballett Initialen stellen. Denn als er 1972 dieses Ballett choreographierte, schrieb er es ganz auf den Leib seiner vier großen Tanzstars zu, seiner „Freunde“, wie er es formulierte. Jetzt ist das Stück wieder einmal in neuer Besetzung auf die Stuttgarter Bühne gekommen, zum Gedächtnis an Crankos 50. Todestag.
Matteo Miccini, Adhonay Soares da Silva, Elisa Badenes, Anna Osadcenko © Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
Kunst zwischen den Dimensionen: Wolfgang Flad im Kunstmuseum Albstadt
Kunst zwischen den Dimensionen: Wolfgang Flad im Kunstmuseum Albstadt
Das Grundelement der Zeichnung ist die Linie – Inbegriff der Zweidimensionalität, die sich allenfalls durch Schraffur zur Fläche ausweiten kann, es sei denn, die Farbe ist mit dem Pinsel aufgetragen. Dann freilich ist der Übergang zur Malerei nicht weit, die sogar Räumlichkeit andeuten kann, wenn auch nur virtuell. Auch sie gehört zur flachen Kunst. Die Skulptur dagegen greift in den Raum, sie ist dem Körperlichen nahe. Bei Wolfgang Flad, dem das Kunstmuseum in Albstadt jetzt eine Ausstellung widmet, sind derlei Grenzziehungen freilich fragwürdig: Kunst zwischen den Dimensionen.
Lebendige Farben – drei Künstler, ein Grundmotiv in der Galerie Schlichtenmaier
Als Kasimir Malewitsch 1913 der Öffentlichkeit sein Schwarzes Quadrat präsentierte, sorgte er für eine Sensation – für Malewitsch „die Empfindung der Gegenstandslosigkeit“. Damit verwies er auf die Reaktion des Betrachters. Dass Farbfläche nicht einfach nur eine Fläche sein muss, macht eine Ausstellung in der Galerie Schlichtenmaier in Dätzingen augenfällig: „Binnenstrukturen“.
Zwischen Realität und Sakralität: Türen in der bildenden Kunst
Man benutzt sie jeden Tag, ohne sich viel dabei zu denken: Türen. Dabei sind sie symbolhafte Objekte für eine Welt, der wir in unserem realitätsorientierten Alltag keinen Raum gewähren: für das Dazwischen. Sie sind offen oder verschlossen, damit stehen sie für Drinnen oder Draußen, Gefangenschaft oder Freiheit, für Transparenz oder Geheimnis. Ein Auguste Rodin hat sie zum Kunstwerk erhoben – Besucher des Kunsthauses Zürich können sie bewundern. Vor allem die Surrealisten haben sich für das Ambivalente dieses Objekts interessiert, allen voran René Magritte. Wie Künstler von heute die Tür sehen, zeigt eine Ausstellung in Biberach: Geöffnet – Verschlossen.
Zwischen Verzweiflung und Hoffnung: Hans-Jürgen Kossacks Plastiken in der Städtischen Galerie Tuttlingen
„Wir alle fallen“ dichtete Rainer Maria Rilke in seinem Herbstgedicht, und meinte mit dem Herbst sicher nicht den in Süddeutschland so begehrten „Goldenen Oktober“, sondern den November, den Monat des grauen Himmels, des Endes. Im Kirchenjahr ist es der Monat des Gedenkens, mithin auch der Monat des Todes – ein Monat der Trübsal, der Melancholie. All das kommt einem in den Sinn in einer Ausstellung der Städtischen Galerie Tuttlingen mit Werken von Hans-Jürgen Kossack.