Es gibt Künstler wie Christo, die Landschaften und Räume durch Eingriffe bis zur Unkenntlichkeit verändern. Es gibt Künstler wie Christian Boltanski, die sich auf Spurensicherung begeben. Georges Rousse ist beides, vor allem aber ist er Fotograf. Eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Tuttlingen zeigt anschaulich, wie sich alle drei künstlerischen Techniken bei ihm zur perfekten Einheit fügen.
Haikus in Wort und Bild: Jürgen Glocker dichtet, Werner Pokorny zeichnet
Von allen literarischen Formen ist das Gedicht die komprimierteste, und unter allen Gedichten ist das Haiku das dichteste. In deutscher Sprache gerade einmal siebzehn Silben auf drei Zeilen verteilt, ein Nichts, ein Hauch an Worten, eine Fülle an Anspielungen, die der Leser in Assoziationen verwandeln muss – die Minimal Art unter den Dichtwerken. Und Werner Pokorny, der Bildhauer, ist in der bildenden Kunst ein Minimal Artist, nicht weil er in die Gruppe der Sol Lewitts, Dan Flavins oder Donald Judds gehörte, sondern weil er sich wie nur wenige Künstler Jahrzehnte lang auf wenige Formen beschränkt hat wie das Haus oder die Schale. Ein Künstler wie er scheint geradezu auf eine Begegnung mit der Minimal Art der Dichtung gewartet zu haben, jetzt liegt sie vor, mit Haikus von Jürgen Glocker.
Mehr als nur zum Wohnen: Raum-Kunst
Raum ist physikalisch gesehen eine sich in drei Dimensionen erstreckende Größe, im menschlichen Leben ein zum Aufenthalt bestimmter Bereich, in der Astronomie das All, in der Malerei ein Problem. Erst durch die Zentralperspektive ließ er sich so darstellen, dass er für das Auge dreidimensional wirkte. Doch im 20. Jahrhundert hat sich vieles geändert. Die Perspektive in der Kunst gilt weitgehend als überwunden, die Physik des 20. Jahrhunderts hat Raum und Zeit relativiert – hinreichend Spielraum also für die Phantasie der Künstler, wie jetzt eine Ausstellung im Museum Ritter in Waldenbuch deutlich macht.
Alle meine Lieben: Künstler auf der Suche nach Familie
Dem 19. Jahrhundert galt sie als Urbild heimischer Geborgenheit – die Familie. Für die 68-Generation war sie der Inbegriff der Spießigen. In den Jahrzehnten steigender Scheidungsraten wurde sie nicht selten totgesagt, bei derzeit sinkenden Scheidungsquoten scheint sie wieder aufzuleben, ist aber längst nur noch eine Form engen Zusammenlebens neben Patchwork-, Regenbogen- oder multinationaler Familie. Eine Ausstellung in der Villa Merkel in Esslingen zeigt auf, wie Künstler von heute auf das Phänomen reagieren.
Duchamp und die Folgen: Das Readymade macht Geschichte
Es war eine der folgenschwersten Revolutionen in der Geschichte der Kunst. 1913 montierte Marcel Duchamp ein handelsübliches Fahrrad-Vorderrad auf einen Hocker und erklärte es zum Kunstwerk. Es war das erste Readymade der Kunstgeschichte. Ein Jahr darauf tat er dasselbe mit einem ebenfalls überall erhältlichen Flaschentrockner. Das war der Beginn der Konzeptkunst, vor allem revolutionierte es den Kunstbegriff, denn ein Kunstwerk musste seither nicht mehr durch das Genie und die Fertigkeit eines Künstlers hergestellt werden, es reichte das Diktum: Dies ist Kunst. Das Positive für die nachfolgenden Künstler: Alles konnte in ihre Kunst eingehen. Die Kehrseite der Medaille: Was immer sie an Gebrauchsobjekten verwendeten – sie gerieten in Gefahr, epigonenhaft zu wiederholen, was Duchamp erreicht hatte. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Göppingen zeigt, wie Künstler bis heute dieser Gefahr entgehen konnten.
Wandverkleidung als Kulturträger. Die altrömischen Campana-Reliefs im Schloss Hohentübingen
Archäologie ist häufig „Stückwerk“. Nicht immer hat der Forscher das Glück, ganze Statuen zur Verfügung zu haben, erst recht nicht Objekte in dem Lebenszusammenhang, in dem sie den Griechen oder Römern vertraut und geläufig waren und der zur möglichst detaillierten und anschaulichen Rekonstruktion der Lebensgewohnheiten nötig wäre. Das gilt auch für die so genannten Campana-Reliefs, so benannt, weil ein gewisser Giampietro Campana ihnen als einer der ersten seine Sammelleidenschaft und sein wissenschaftliches Interesse gewidmet hat. Sie finden sich in renommierten Häusern wie dem British Museum und dem Louvre – und im Archäologischen Institut der Universität Tübingen. Lange Zeit als irrelevant abgetan, gerieten sie erst vor einem halben Jahrhundert in den Fokus der Wissenschaft – und derzeit in eine Ausstellung im Tübinger Schloss.
Herakles kämpft gegen die Hydra von Lerna. Foto: Thomas Zachmann
Cancan im Schongang. Armin Petras contra Offenbach
Ein Orpheus, der nicht um seine verstorbene Eurydike trauert, eine Eurydike, die sich Schäferstündchen fern des Ehebetts sucht, ein Jupiter, der von seinen Untergöttern verlacht wird, eine Oper, die alle Opernuntugenden dem Spott aussetzt – Jacques Offenbach hat mit seiner „Opéra bouffe“ Orpheus in der Unterwelt all jene Traditionen und Werte, die die gesittete bürgerliche Welt in Ehren hielt, durch den Kakao gezogen und genau damit ein unsterbliches Meisterwerk geschaffen, sofern ihm nicht auf der heutigen Opernbühne der Garaus gemacht wird, denn Offenbach ist witzig, sein Witz aber sehr schwer in Szene zu setzen. Für die Oper Stuttgart hat sich jetzt der Stuttgarter Schauspielintendant Armin Petras am geistreichen Spiel versucht.
Der Spiegel als Bild: Reflexionen im Schauwerk Sindelfingen
Eines der berühmtesten Spiegelbilder in der Literatur ist tödlich. Fasziniert von der Schönheit seines Antlitzes, das ihm die Oberfläche eines Sees reflektiert, erkennt der junge Narziss die Unerfüllbarkeit dieser Liebe. So erzählt es Ovid in seinen Metamorphosen, so hat es Caravaggio im 16. Jahrhundert im Bild festgehalten und im 20. auch Salvador Dalí. In einer großen Ausstellung im Sindelfinger Schauwerk könnte der Besucher derzeit in Gefahr geraten, auf den Spuren dieses Narziss zu wandeln, denn hier dreht sich alles um die Spiegelung.
Grau in Grau. Die Raumwelten des Ben Willikens
Es kann ein Symbol für Sachlichkeit sein, für Würde und Neutralität, aber auch für Tristesse, Trübsal, Einsamkeit: Grau ist vielseitiger, als man landläufig meint, es kann positive Konnotationen in sich tragen, wird aber meist negativ gesehen als grauer Alltag, graue Maus, graue Theorie. Für Ben Willikens wurde es die Farbe seines Künstlerlebens; seit den 70er Jahren ist Grau geradezu zum Markenzeichen seiner Malerei geworden – die Farbe Grau und das Motiv Raum. Die Kunsthalle Weishaupt hat ihm jetzt in Ulm eine umfangreiche Retrospektive gewidmet.
Raum 608: Abendmahl, 2009. Sammlung Siegfried und Jutta Weishaupt © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Ein Plädoyer fürs Theater, welcher Spielart auch immer: Sebastian Hartmann inszeniert den Bühnenklassiker „Der Raub der Sabinerinnen“
Er gilt als Inbegriff des Schmierenkomödianten, der bedenkenlos Frauenrollen in Männerpartien umschreibt: Emanuel Striese, Direktor einer Wandertheatertruppe im „Raub der Sabinerinnen“ von Franz und Paul von Schönthan. Er ist aber auch ein alter Theaterfuchs, der weiß, das nicht durchfallen kann, was gestrichen ist. In Halle hat er es sogar zu Denkmalsehren gebracht, im Film hat ihn Gustav Knuth verkörpert. Gespielt wird das Stück meist auf der Boulevardbühne, in letzter Zeit nehmen sich aber auch die Staatstheater des Klassikers an wie jetzt das Schauspiel Stuttgart.
Manuel Harder, Peter René Lüdicke. Foto: Conny Mirbach