Pole menschlicher Existenz: Die Passion aus der Sicht von Künstlern

Zwei sich im rechten Winkel querende Striche – ein Kreuz. Es findet sich schon in der Frühzeit der Menschen, in der Mathematik, im Straßenverkehr – und in der Religion, in der christlichen zumal an zentraler Stelle als Symbol für den Tod Christi. Dreißig Jahre lang lud die Gemeinde St. Fidelis in Sigmaringen Künstler unserer Tage zu Ostern ein, sich bildnerisch Gedanken zu diesem Anlass zu machen. Eine Ausstellung in der Kreisgalerie in Schloss Meßkirch dokumentiert diese Aktionen: „Der Tod hat nicht das letzte Wort.“

Natürlich steht das Kreuz im Zentrum dieser Ausstellung, schließlich wurde Jesus, der Gottessohn der christlichen Religion, am Karfreitag ans Kreuz geschlagen. So ragt es in der Mitte der Ausstellung steil in die Höhe. Doch der Bildhauer Jürgen Knubben hat mit seinem Kreuz deutlich gemacht, dass es sich dabei nicht nur um ein christliches Symbol handelt. Seinem Kreuz fehlt der Körper Christi, es besteht lediglich aus zwei dünnen Stahlstangen, die sich im oberen Drittel im rechten Winkel quer verbinden und damit zum Kreuz werden. Dass es sich doch um das Kreuz Christi handeln könnte, deutet Knubben lediglich an, indem er die Stahlstangen an den Enden flachgehämmert hat und so eine Ahnung von zwei Händen und einem Kopf vermittelt, aber eben nicht mehr als eine Ahnung, und mehr bedarf es auch nicht. Und so verwandelt sich an den drei Stahlenden das an sich leblose Material in etwas Anthropomorphes – christlich gesprochen, auch wenn das sicher nicht die Intention des Künstlers war, wohnt dem Symbol des Todes das sich regende, auferstehende Leben bereits inne, und damit ist man – ausgehend von einem abstrakten Kunstgebilde – sehr nah bei der christlichen Botschaft.

Denn ein Künstler braucht nicht unbedingt die in der Kunstgeschichte seit zwei Jahrtausenden immer wieder verarbeiteten Bildinhalte. Gabriele Stiegler-Gaus hat zwar ein Kreuz auf Leinwand gemalt, doch mit dem Kreuz von Golgatha hat das nichts mehr zu tun, nur – wie bei Knubben – mit dem abstrakten geometrischen Zeichen. Die Todesqual Christi am Kreuz hat sie ausschließlich durch die vehemente kreisförmige Arbeit mit Pinsel und Farbe angedeutet – biblischer Inhalt überführt in reine Malerei.

Wie präsent die biblische Ikonografie der Kunstgeschichte ist, wie sehr sich die Bildinhalte geradezu in unser Gedächtnis eingebrannt haben, macht Jürgen Knubben mit einer zweiten Arbeit deutlich. Er hat das Figurenrepertoire von Leonardo da Vincis Abendmahlfresko mit abstrakten Stahlgebilden wiedergegeben – eine Arbeit für kunsthistorisch informierte Betrachter, gewiss, für sie aber ein reizvolles Spiel mit der Frage, wie weit man sich von einem Original entfernen kann, und doch das Original im Geist bewahrt.

Dieter Krieg hat mit seinen drei großformatigen Gemälden die kirchliche Osterthematik in den Alltag von Menschen geholt. Er erinnert daran, dass mit dem Tod Jesu – eines Sohnes also – auch die Eltern existentiell betroffen sind, die er spielerisch mit den Wörtern „Vata“ und „Muta“ in die Todesdarstellung integriert hat.

Denn zunächst hat das Karfreitagsgeschehen unmittelbar mit dem Tod zu tun. Bernhard Maier hat Gesichtsbilder aus Asche gestaltet und damit das Wort Bild werden lassen: „Staub bist du…“.

Auch ein Memento Mori ist eine Arbeit von Willi Bucher. Bucher, bekannt für seine Masken für den Fasching, aber auch für die Gestaltung ganzer Altarräume, hat Dutzende von solchen Holzmasken in einen Kasten gestellt, der Anmutung an einen Sarg haben kann, aber auch wie ein Schrein empfunden werden darf, oder an das biblische Golgota gemahnt, dem Markusevangelium zufolge „Ort des Schädels“. Wie nah diese Gesichter dem Tod sind, mag man den leeren Augenhöhlen entnehmen oder auch dem Skelett eines Tierkopfes, das sich unter die Menschengesichter geschlichen hat.

Noch doppelsinniger zwischen Tod und Leben ist Angela Flaigs Sarggebilde aus Distelsamen angesiedelt. Die Form der Arbeit deutet auf das Ende allen Lebens, der Samen auf den Anfang neuen Lebens – Anfang und Ende allein durch Form und Material des Kunstwerks verkörpert.

Dieser Hoffnungsstrahl inmitten aller Todessymbolik findet sich immer wieder. Andreas Felger hat auf abstrakte Weise das Wort Jesu „Ich bin das Licht“ malerisch dargestellt, indem er – ganz abstrakt, ohne jeden Hinweis auf christliche Bildsymbolik – hinter zwei schwarzen Balken eine strahlend weiße Welt ahnen lässt.

Die Arbeiten dieser Ausstellung standen die letzten dreißig Jahre über zwischen Karfreitag und Ostersonntag in der Kirche St. Fidelis in Sigmaringen. Der dortige Diakon Werner Knubben hatte jedes Jahr einen Künstler eingeladen, sich zu diesem Anlass auf seine Weise zu äußern. Angefangen hatte es mit Josef Bücheler, der aus Materialien der Vergänglichkeit – Sand, Kalk, Zeitungsresten, Wasser – eine Art gräuliche Kutte hergestellt hat. Am Karfreitag 1994 lag sie auf dem Boden der Kirche, gewissermaßen Jesus als Mensch unter Menschen, am Ostersonntag hing sie als Symbol des Gottessohns an der Wand. Das Plakat zur Ausstellung zeigt das Geschehen damals und vermittelt einen Eindruck
davon, wie Kunst im kirchlichen Raum auf ganz eigene Weise wirken kann. So konnten einige Arbeiten in dieser Ausstellung wegen ihres Formats nicht präsentiert werden, und das ausgestellte Modell der Arbeit von Romain Finke kann mit seinen wenigen Zentimetern nicht annähernd eine Vorstellung davon vermitteln, wie das aus gräulichem Metall bestehende Original 2007 mit seinen sechzehn Quadratmetern in der Kirche gewirkt haben mag.

Doch muss Kunst selbst für den kirchlichen Raum nicht unbedingt große Formate aufweisen. Michael Royen hat eine ganz kleine Christusfigur zur Verfügung gestellt – aus Kunststoff jenen Christusfiguren nachgebildet, wie man sie an zahlreichen Kreuzplastiken findet. Nur während Jürgen Knubben sich bei seiner Arbeit auf die Kreuzform beschränkt und auf den Gekreuzigten verzichtet hat, fehlt bei Royen das Kreuz, übrig blieb die Christusfigur, und siehe da: plötzlich scheint alles Todesleid von ihr abgefallen, geblieben ist eine gelöste, ästhetisch wunderbar leicht wirkende tänzerische Menschengestalt. Auch das ist Karfreitag im Übergang zum Ostersonntag, oder eben einfach nur Kunst vom Menschen für Menschen.

Der Tod hat nicht das letzte Wort. Moderne Kunst zu Karfreitag und Ostern“, Kreisgalerie Schloss Meßkirch bis 25.6.2023

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