Zeitlose Malerei des 19. Jahrhunderts: Hans Thoma

Er liebte seine Schwarzwälder Heimat – Hans Thoma, 1839 in Bernau geboren – und war ganz der Malerei des 19. Jahrhunderts verpflichtet – was ihn aus heutiger Sicht leicht veraltet wirken lässt. Das ist er sicher auch, doch in einer Ausstellung in der Kunststiftung Hohenkarpfen kann man entdecken, dass auch eine solche ganz ihrer Zeit verhaftete Malerei selbst im 21. Jahrhundert ihre Faszination ausüben kann, sofern es sich um Malerei von Rang handelt. Bei Hans Thoma ist das, zumindest in seinen besten Arbeiten, der Fall.

Meernymphen, o.J., Foto: U. Schäfer-Zerbst

Man kann in der Ausstellung in der Kunststiftung Hohenkarpfen ahnen, weshalb Hans Thoma um die Jahrhundertwende so populär war. Meyers Lexikon bezeichnete ihn 1909 als einen der „Lieblingsmaler des deutschen Volkes“, was die Nazis nach 1933 weidlich für ihre Propaganda ausnutzten. Thomas Bilder porträtieren eine heile ländliche Welt: Bauern beim Pflügen, ein junges Paar unter einem Baum, tanzende Nymphen im Wasser – und seine Beliebtheit mag auch noch dadurch gesteigert worden sein, dass er sich gern heroischen Heldenmotiven widmete, vielleicht eine Folge seiner Begeisterung für den Schweizer Arnold Böcklin und die Opern von Richard Wagner. Auch diese Seite seines Schaffens zeigt die Ausstellung – und es ist, zumindest aus heutiger Sicht, wahrlich nicht die überzeugendste Seite dieses Malers. Aber schon seine Szenen aus dem Landleben zeigen auch, wie gut es Thoma gelang, die typisierten Figuren mit Leben zu erfüllen, auch wenn sie einfach nur neben ihrem Vieh oder beim Pflügen gezeigt werden. Und dass er heroisch angehauchten Motiven auch leise Selbstironie beizumischen vermochte, könnte das Bild einer italienischen Meeresbucht andeuten, über der eine nackte Frau umgeben von Engeln schwebt – Sommerträumerei in der Bucht von Lerici.

Sommerlandschaft mit Storch, 1874, Foto: U. Schäfer-Zerbst

Anlass für diesen Überblick über Thomas Schaffen war ein Gemälde, das durch den Kunsthistoriker und Kustos der Kunststiftung Hohenkarpfen, Mark Hesslinger, überhaupt jetzt erst als Gemälde dieses Künstlers nachgewiesen werden konnte. Es war ein Teil einer aus mehreren Bildern bestehenden Wandausstattung in einer Villa in Frankfurt. Es ist von der Motivwahl ein typisches Bild des 19. Jahrhunderts, es entstand 1874: Zu sehen ist in extremem Hochformat nichts als ein in hellen Farben porträtierter Baum, unter dem ein Storch ruht – entsprechend lapidar der Titel: Sommerlandschaft mit Storch, eine realistisch anmutende Szene, doch wie Thoma hier durch wenige genau gesetzte Pinselstriche, manchmal nur feinste Tupfer, diesen realistischen Eindruck erziehlt, ist meisterhaft und selbst heute, 150 Jahre nach Entstehung des Bildes, ein Genuss für das Auge.

Und das führt zum Wesen dieses Künstlers, der zwar eindeutig in der Tradition des 19. Jahrhunderts stand und auch gar nicht versuchte, die in Frankreich aufgekommene neue Strömung des Impressionismus aufzugreifen, dessen beste Bilder aber auch heute noch als gültig bezeichnet werden können, weil es hervorragende Malerei ist.

Diese Qualität, das macht die Auswahl der Landschaftsbilder in dieser Ausstellung deutlich, basiert auf seinem Gespür für die Farbkomposition eines Gemäldes, und diese Farbkompositionen weichen, auch wenn man es auf den ersten Blick kaum wahrnimmt, durchaus von einer rein realistischen Wiedergabe der Landschaft mit ihren Figuren ab. So scheinen seine Badenden Jünglinge von 1879 vordergründig heiter planschende nackte junge Männer zu sein, die mit der bloßen Hand Fische fangen, aber Thoma verzichtete darauf, die Körper der jungen Männer realistisch in einem an Hautfarbe gemahnenden Kolorit zu zeichnen, vielmehr sind diese Körper farblich raffiniert dem Grundton des ganzen Gemäldes angeglichen, und der besteht aus einem leicht olivfarben schimmernden Grün. Alles ist diesem farblichen Grundton untergeordnet, und damit wird aus einer realistisch anmutenden Szene am Bach ein perfekt in Farbvaleurs austariertes Gemälde.

Dieses Gespür für Farbtöne, die jeweils ein ganzes Bild prägen, findet sich allenthalben. Sein Junimorgen in Marxzell mag zwar von dem konkret im Titel erwähnten Ort inspiriert sein, doch farblich ist die große Landschaft, in der sich zwei Männer bei der Heuernte nur wie kleine Aperçus ausnehmen, eine perfekte Komposition in leicht grau-beige eingefärbten Grüntönen, deren Farbprinzip alle Bildbereiche – von der riesigen Wiese im Bildzentrum bis zu den umgebenden Waldhügeln im Hintergrund – prägt. So realistisch die Motive auf solchen Bildern auch wirken, man kann sie letztlich als reine Auseinandersetzung eines Malers mit einem Grundton für ein ganzes Bild betrachten.

Pferde in der Schwemme, 1895, Foto: U. Schäfer-Zerbst

Sein Porträt der Pferde in der Schwemme fasziniert durch einen fast alles beherrschenden Grundton aus grün-bläulich-weißlichem Grau – auf den ersten Blick als Spiegelung des Wolkenhimmels interpretierbar, doch eigentlich eine reine Studie in Grautönen, die erstaunlich farbig wirken. Schon das frühe Bild Schönau im Wiesental von 1864 – Thoma war da Mitte zwanzig – überzeugt durch die raffinierte Mischung aus genau porträtierten Details wie einem Gatter, dem Porträt eines Hundes und eines Anglers und fast abstrakt hingetupften Farbflecken, die Büsche und die Lichtakzente auf dem nassen Holzgeländer des Wehrs am Bach andeuten.

Selbst in reinen Grautönen gelangen ihm auf diese Weise faszinierende Kompositionen, etwa der Abend bei Tivoli, einem Aquarell mit Kreide- und Deckweißakzenten, das wie ein perfektes realistisches Porträt einer italienischen Baumgruppe wirkt, das sich aber in der Gestaltung auf die unbedingt notwendigen Striche beschränkt; das Grau dient – fern von jedem Realismus – dazu, den Eindruck einer Abendstimmung hervorzurufen.

So erweist sich Thoma in seinen besten Bildern – wobei er wahrlich zumindest aus heutiger Sicht nicht nur solche hervorgebracht hat – als Meister einer Malerei, die ganz von der Farbkomposition bestimmt ist – und damit bei aller Liebe zum realistischen Detail letztlich als reine Malerei genossen werden kann, auch weit über hundert Jahre nach ihrer Entstehung.

Hans Thoma. ‚Sommerlandschaft mit Storchʼ“, Kunststiftung Hohenkarpfen bis 23.7.2023

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