Untergang als Comic: Sebastian Baumgarten inszeniert Salome am Schauspiel Stuttgart

Wenn man Vorgeschichte als Omen begreift, dann stand diese Figur unter einem bösen Stern. Salome war die Enkelin jenes Herodes, der für den bethlehemitischen Kindermord verantwortlich war, und sie war eine Tochter der Herodias, die in zweiter Ehe mit dem Bruder ihr ersten Mannes verheiratet war – auch er ein Herodes, was den Widerspruch des Propheten Johannes hervorrief. Was kann da schon Gutes entstehen? Und so wurde Salome denn auch zum Inbegriff des verführerischen Frau, die mit einem Schleiertanz ihren Stiefvater dazu bringt, ihr das Haupt des von ihr geliebten Propheten Johannes zu liefern. Die Erzählung findet sich in der Bibel, nicht jedoch der Name dieser Prinzessin. 1893, in der Blütezeit des Fin de Siècle, das eine besondere Vorliebe für die Laszivität dieser Figur hatte, veröffentlichte Oscar Wilde sein Drama um diese Prinzessin, hundert Jahre danach bearbeitete Einar Schleef das Stück und betonte vor allem eine krude Sexualität. Jetzt hat Sebastian Baumgarten diese Version am Schauspiel Stuttgart inszeniert.

Christian Czeremnych, Julischka Eichel, Horst Kotterba, Sebastian Röhrle. Foto: Birgit Hupfeld

Schon äußerlich macht diese Salome deutlich, dass sie mit ihren Eltern nichts zu tun hat – nicht mit ihrem Stiefvater, den Thomas Wodianka als ängstlichen Aufsteiger gestaltet, der vor allem nicht die falschen Fragen in Sachen Religion stellen will und im Kampfanzug voll behängt mit Amuletten auftritt, und auch nicht mit ihrer Mutter, die Astrid Meyerfeldt als mondäne Herrscherin, Typ vornehme Megäre, auf die Bühne bringt und die schon von daher ihren Gatten in den Schatten stellt. Kein Wunder, dass Salome nach einer Gegenposition als Identifikationsfigur sucht und im Propheten Johannes findet, genauer in seiner Stimme und seinen Sprüchen, die aus dem Kerkerloch dringen. Diese Salome ist nicht mehr pubertierender Teenager und noch nicht verführerische junge Frau, sondern probiert ihre Macht über Männer aus. Julischka Eichel macht das vorzüglich und entwickelt selbst in den langen Passagen, in denen sie nichts zu sagen hat, eine faszinierende Bühnenpräsenz.

Das ist eine gute Ausgangsposition und hätte Anlass sein können, die Figur zu beleuchten: Ist sie Opfer einer Vergewaltigung, denn ihr Stiefvater wirft mehr als nur begehrliche Blicke auf sie. Ist sie männermordender Vamp oder eine von der neuen Botschaft in Gestalt des Johannes faszinierte Jüngerin. Doch all das bleibt unberücksichtigt, letztlich geht es in dieser Inszenierung gar nicht um die Titelfigur.

Es könnte um Religion gehen. Grandios ist der Anfang: Zu den mächtigen Klängen des Eingangschores von Bachs Johannespassion flimmert auf einer Schrifttafel eine Reflexion über die Natur der Religion. Dazu in alter Fraktur Bibelzitate und über eine Leinwand flimmern Filmszenen aus Kriegen aller Arten und Zeiten, kombiniert mit Bildern des Klerus.

Filmprojektionen sorgen auch für einen zweiten Höhepunkt des Abends. Wenn Salome ihren Schleiertanz zum Besten gibt, begnügt sie sich mit ein paar wiegenden Bewegungen, den Rest besorgen Bilder von Nacktheit, Männern und Frauen, auf ihrem Gewand: Salome als reine Figur von Projektionen der Männer, allen voran Herodes.

Doch all das bleibt Episode. Hier wird nichts konsequent weitergeführt, weiter gedacht, alles nur angedeutet. Schauplatz ist das King David Hotel in Jerusalem, in dem 1946 ein Anschlag einer zionistischen Terrororganisation stattfand. Doch auch das Thema Nahostkonflikt ist nichts als eine Randbemerkung in dieser Inszenierung.

Es geht um große Fragen, um Leben und Tod, doch Baumgarten verpackt das alles in eine Ästhetik des Comicfilms, in dem jede Bewegung durch laute Geräusche markiert wird. Ein Ritsch beim Feuergeben mit dem Feuerzeug, ein Ratsch beim Entsichern einer Pistole. Die Figuren könnten der Rocky Horror Picture Show entstammen oder irgendeiner Fantasyorgie, ernstzunehmen sind sie nicht. Und es geht Baumgarten auch nicht um sie.

Julischka Eichel, Thomas Wodianka, Astrid Meyerfeldt (am Seil), Felix Mühlen. Foto: Birgit Hupfeld

Er will eine Welt am Abgrund zeigen. Die Bühne eine steile Schräge nach unten, eine Geröllhalde. Am Ende geht diese Welt denn auch in einer gewaltigen Explosion unter, nichts bleibt übrig, wie auch von Stück und Figuren an diesem Theaterabend.

Eine Inszenierung ohne Einfälle ist leer, Einfälle ohne Konzept sind Gags. Baumgarten überbietet sich in ihnen, selbst bei dem auf den ersten Blick so eindrucksvollen Anfang. Warum die Johannespassion? Die Geschichte von der Enthauptung des Johannes findet sich in der Bibel nur bei Markus und Matthäus. Ein Johannes steht zwar im Zentrum dieses Stückes, doch dieser Johannes kam vor Christus, der Evangelist nach ihm.

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