Zwischen Realität und Sakralität: Türen in der bildenden Kunst

Man benutzt sie jeden Tag, ohne sich viel dabei zu denken: Türen. Dabei sind sie symbolhafte Objekte für eine Welt, der wir in unserem realitätsorientierten Alltag keinen Raum gewähren: für das Dazwischen. Sie sind offen oder verschlossen, damit stehen sie für Drinnen oder Draußen, Gefangenschaft oder Freiheit, für Transparenz oder Geheimnis. Ein Auguste Rodin hat sie zum Kunstwerk erhoben – Besucher des Kunsthauses Zürich können sie bewundern. Vor allem die Surrealisten haben sich für das Ambivalente dieses Objekts interessiert, allen voran René Magritte. Wie Künstler von heute die Tür sehen, zeigt eine Ausstellung in Biberach: Geöffnet – Verschlossen

Kein Zweifel: Eine Tür, eine geschlossene Tür in einem Stadthaus. André Ficus hat sie auf einer seiner Reisen in Paris entdeckt und sogar eine Adresse angegeben. Und doch hat er kein fotorealistisches Porträt einer bestimmten Tür gemalt. Der geschlossene Eingang wirkt abweisend, man traut sich nicht, diese Tür zu öffnen; die Hausbewohner dahinter wollen ihre Privatsphäre gewahrt wissen.

Ähnlich abweisend, wenn auch aus ganz anderen Gründen, ein Bild von Rolf Nesch. Auch er hat 1920 genau angegeben, was er da gemalt hat: Die Klosterpforte in Obermarchtal. Hinter Klostermauern und -toren aber befindet sich eine ganz andere Welt als die unseres Alltags, nämlich die von Mönchen oder Nonnen.

Diese Türen sind Türporträts und zugleich Symbole für etwas ganz anderes, und das scheint immer der Fall zu sein, wenn Künstler sich dem Thema Tür widmen oder dem Thema geöffnet beziehungsweise verschlossen. Denn Türen bezeichnen eben genau diese Grenze zwischen zwei diametral entgegengesetzten Existenzbereichen. Stefan Bircheneder spielt geradezu mit diesem Aspekt. Er widmet sich dem Spind, also dem Kleiderschrank in Umkleideräumen. Es sind alte Spinde, verrostet, mit Graffiti bemalt – aber Vorsicht: Bircheneders Spinde sind nicht aus Metall, sondern aus Farbe auf Leinwand, selbst der im Raum stehende Spind ist reine Malerei. Und so nennt er ihn denn auch nicht Spind, sondern Denkmal. Andere Spinde tragen den Titel Hab und Gut – passenderweise, denn in einem Spind bringt man persönliche Dinge unter – Kleidungsstücke, Brotbüchsen, sogar persönliche Unterlagen. Was also mag sich hinter diesen geschlossenen Spindtüren verbergen? Eine dieser Türen ist offen, der Spind ist leer; hat der Besitzer nichts aufbewahrt oder ist er nicht erschienen? Bircheneders Spinde werfen Fragen auf – nach der Individualität, die sich hinter den handelsüblichen Spinden verbirgt, sowie nach dem Phänomen von Realität und Kunst – Industrieprodukt und Malerei.

Julius Kaesdorf hat auf einem Bild einen ganz besonderen Inhalt hinter einer Tür gemalt: Das Bild zeigt eine Gruft; erahnbar sind Leichen, vielleicht auch Totenwächter. Das Bild strahlt etwas Geheimnisvolles, vielleicht sogar Archaisches aus, wie Grabkammern aus vergangenen Zeiten. Hier würde man am liebsten die Tür zu diesem Raum zuschlagen. Es ist eine dem Alltag enthobene, verschlossene Welt. 

Ganz im Unterschied zu den Räumen, die sich hinter Kirchenportalen verbergen. Klaus Hack hat sich von berühmten, reich verzierten Kirchenportalen wie dem des Straßburger Münsters inspirieren lassen und in seine Kirchenbauten gleich mehrere solcher Portale eingefügt. Freilich: für die Ewigkeit scheinen diese Häuser nicht gebaut zu sein. Fragil und wacklig nehmen sich die aus Holzstämmen minutiös ausgeschnittenen Bauwerke aus. Geblieben ist ein Hauch von Pracht, die in einem Holzschnitt geradezu abstrakt wie ein Ornament wirken kann.

Ähnlich fragil sind die Torbögen, zu denen sich Gerd Kanz durch altehrwürdige Bauwerke hat inspirieren lassen. Bei ihm sind nur noch die wenig tragfähigen Stützen übriggeblieben. Immerhin, die Torbögen sind offen, man könnte durch sie hindurchgehen – während man von den fast abstrakten „Toröffnungen“ auf seinen Bildern wie durch einen geheimnisvollen Sog gezogen wird.

Die Welt, die sich dahinter verbirgt, ist die des Sakralen, auch des möglicherweise Weltenthobenen. Dieses Weltenthobene stellt Michael Lesehr auf seinen Bildern dar, indem er gleich Dutzende von Farbschichten übereinander legt. So ergeben sich aus dünnen, fast transparenten Farbschichten subtile Malflächen, auf denen sich märchenhafte Szenen auftun, die nicht von dieser Welt sind.

Denn Tür und Geheimnis scheinen untrennbar miteinander verwoben, selbst auf den wie Fotografien wirkenden Parklandschaften von Stefanie Hofer. Sie hat von Fotografien Zeichnungen angefertigt, die sie dann raffiniert auf Druckplatten übertragen hat. Was wie ein Foto wirkt, ist eine Druckgraphik, und die Raumöffnungen und Portale wirken dadurch umso rätselhafter.

Rätselhaft ist auch das, was sich auf Bildern von Eckart Hahn hinter Türen verbirgt. Selbst eine Besenkammer ist bei ihm Schauplatz abschreckender Ereignisse, denn oben quillt bedrohlicher Qualm aus der Tür. Und eine geöffnete Schranktür offenbart eine rätselhafte Welt aus Federn, aus denen sich dem Betrachter wie Vogelschwingen zwei goldene Hände entgegenrecken, als wollten sie ihn in das schwarze Loch hineinziehen. Edgar Allan Poe lässt grüßen.

Durch eine geöffnete Tür, selbst wenn sie nur einen Spalt weit offen ist, kann aber einfach auch nur vielverheißendes Licht strömen, wie bei den Bildern, die Hermann Weber aus Farbe und Wachs auf Bleiflächen gestaltet – Ahnungen von fremden Welten tun sich da auf. 

Licht und Offenheit, ja Transparenz fasziniert auch Axel Otterbach am Phänomen Tür, und das, obwohl er Bildhauer ist und bevorzugt mit Marmor arbeitet. Durch raffinierten Schliff aber gelingt es ihm, das opake Material geradezu transparent wirken zu lassen, sodass man meint, es sei eine Quelle von Licht. Seine hintereinander platzierten Torbögen jedenfalls wirken von vorn betrachtet wie Lichttore in eine fremde, ferne Welt, in die man gern einziehen würde –

wie auch bei Rita Große-Ruyken. Sie hat einfach nur eine hauchdünne Fläche ausgestellt, eine Fläche, die allerdings aus purem Gold besteht. Auch das kann sich hinter einer Tür verbergen – ein Schatz; man muss sie nur öffnen.

Geöffnet – Verschlossen. Tür und Tor in der bildenden Kunst“, Galerie der Stiftung BC-pro arte in Biberach bis 24.11.2023. Katalog 99 Seiten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert