Geschichten aus dem Bürgertum: Der Maler Johann Baptist Pflug

Drei Kunststile beherrschten den Beginn des 19. Jahrhunderts, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten – der Klassizismus, die Romantik und das Biedermeier. Ihre zu ihrer Zeit bedeutenden Vertreter aber sind heute weitgehend vergessen: Johann Heinrich Wilhelm Tischbein ist nur noch durch sein Porträt von Goethe in der Campagna ein Begriff, Otto Philipp Runge möglicherweise durch einige Kinderporträts und Joseph Anton Koch durch die eine oder andere Gebirgslandschaft. Allzu schnell wurden diese Künstler durch die mit dem Impressionismus einsetzende Moderne mit einem ganz anderen Bildbegriff verdrängt – ein Schicksal, das auch den Biberacher Maler Johann Baptist Pflug ereilte. In letzter Zeit freilich scheint sich eine Neubewertung seiner Malerei anzubahnen, wie ein Werkverzeichnis und mehrere Einzelausstellungen in Biberach und Meßkirch gezeigt haben.

Selbstbildnis mit Ehefrau Theresia, um 1840

Der große Porträtmaler war er nicht, der Biberacher Johann Baptist Pflug. Als teigig haben Kritiker die Gesichter auf seinen Bildern abgeurteilt, und auch als er sich mit seiner Frau porträtierte, kam nicht gerade ein psychologisch faszinierendes Bild heraus. Das war 1840, Pflug war da 55 Jahre alt und wirkte als Zeichenlehrer in seiner Heimatstadt Biberach.

Diese Sprödigkeit seiner Porträts ist umso erstaunlicher, als sich sein übriges Schaffen durch eine ausgesprochene Lebendigkeit und Charakterisierungskunst auszeichnet. Wenn er Szenen aus den Wirtshäusern gestaltete, dann zeichnete er jede einzelne Figur individuell und jede ist mit anderem beschäftigt: Die einen trinken, die anderen schwatzen, spielen, lesen. Das Wirtshaus als zentraler Ort der Geselligkeit – und damit dürfte Pflug sicherlich einen Kern seiner Zeit getroffen haben, denn in einer Gesellschaft ohne Radio oder Fernsehen brauchte der brave Bürger Unterhaltung, und diesem braven Bürger widmete Pflug seine ganze Aufmerksamkeit. Es finden sich auf seinen Bildern selten Vertreter des Adels, auch nicht der arbeitenden Bevölkerung. Wenn gearbeitet wurde. dann auf Festen wie der Weinlese. Da steigt man dann ins Fass, um die Trauben zu zertreten. Das Bild zu dieser Beschäftigung stammt nicht von Pflug direkt. Er lieferte nur die Vorlage im Auftrag eines Stuttgarter Kunstverlags zu einem Buch über Ländliche Gebräuche in Württemberg – und darin war er Meister.

Nach seinem Studium in München kehrte er in seine Heimatstadt Biberach zurück, dort fand er seine Anregungen. Man hat ihm das als Enge vorgeworfen, zu Unrecht, denn was Pflug auf seinen Bildern festhielt, war pralles Alltagsleben. Natürlich wissen wir nicht, wie authentisch das Leben auf seinen Bildern ist, da uns Fotografien fehlen, doch was Trachten, Bräuche und Gepflogenheiten seiner Zeit betrifft, dürfte er doch einer der exaktesten Chronisten sein. So erfahren wir vom Sichelhängen, einem Fest nach der Ernte, vom Freischießen, bei dem sich der beste Schütze des Jahres von Steuerabgaben freischießen konnte, oder auch von der Heimführung der Braut, einem auf das Mittelalter zurückgehenden Brauch.

Pflug holte sich seine Motive nicht in der Antike und Mythologie wie oftmals die Künstler, die sich dem Klassizismus verpflichtet fühlten, Pflug war ein Maler seiner Zeit, und das hieß im Zeitalter napoleonischer Kriege auch einer Zeit der Schlachten und Soldatenaufzüge. Er hatte selbst erlebt, wie Napoleon bei Ulm die Kapitulation des österreichischen Heeres entgegennahm. Der Korse findet sich denn auch auf seinen Bildern. Aber Pflug war deutscher Patriot. Er stellte statt der Siege lieber die Niederlagen der Franzosen dar, wiewohl diese in der Minderheit waren.

Die Schlacht bei Ostrach, um 1844

So stürmen bei ihm die „tapferen Bayern“ vor, wie sein Bildtitel verrät, und besondere Wertschätzung hegte er für den österreichischen Erzherzog Karl, den er während der Schlacht bei Aspern zeigte, die in der Tat Napoleon die erste Niederlage bescherte. Dabei begnügte er sich nicht damit, die Helden und Anführer zu porträtieren, wie es Jaques Louis David bei seinem Bild von Napoleons Alpenüberquerung getan hatte. Pflug nimmt stets das ganze Geschehen ins Auge, zeigt die Befehle des Anführers ebenso wie die am Boden liegenden Opfer.

Diese Gestaltungsweise brachte er zur Perfektion in seinen Szenen aus den Gaststätten und Privathäusern. 1828 malte er den Besuch im katholischen Pfarrerhaus, und da spielt der Pfarrer eine Nebenrolle. Er trinkt Kaffee, während andere lesen, spielen, dem Hund Kunststücke beibringen. Das lässt auf eine ganz andere Präsenz des Herrn Pfarrers im normalen Alltag schließen als heutzutage.

Das sind keine Momentaufnahmen auf Leinwand, das sind geradezu bewegt wirkende Bilder, fast meint man, einem Kameraschwenk über ein geschäftiges Treiben im Wohnzimmer beizuwohnen. Pflug hält nicht Szenen fest, er erzählt Geschichten, Geschichten aus dem Bürgerleben, das macht seine Arbeiten so spannend, auch heute noch, zumal man immer wieder auf Alltagsphänomene trifft, die uns heute fremd sind. Räuberbanden zum Beispiel; ihnen widmete er rund 30 Bilder, so etwa der Gruppe um den Schwarzen Veri.

Der Heiratshandel, 1838

Man erfährt, dass es zu den Obliegenheiten des Pfarrers gehört, den oft leseunkundigen Gemeindemitgliedern die Zeitung vorzulesen, dass im Wirtshaus wie selbstverständlich eine alte Frau die Karten legt und aus ihnen das Schicksal liest, oder dass es bei der Verheiratung der Tochter um Geld geht: Fordernd streckt die Bräutigamsmutter die Hand aus.

Pflugs Bilder schildern das bürgerliche Leben vor knapp zweihundert Jahren, malerisch brillant, fantasievoll und nicht selten humor-, auf jeden Fall liebevoll.

Uwe Degreif, Johann Baptist Pflug (1785-1866). Werkverzeichnis. Kunstverlag Josef Fink, 334 Seiten, 280 Abb., 39,80 Euro

Johann Baptist Pflug. Maler, Zeichner und Lithograf. Ausstellung in der Kreisgalerie Schloss Meßkirch bis 18.2.2018

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