Mit Bildern sprechen: Günther Ueckers Huldigung an Hafez

Sein Grab ist eine touristische Wallfahrtsstätte in Shiraz; hier wurde er vor über 600 Jahren bestattet, Schah Reza Pahlavi ließ darüber einen Pavillon bauen: Hafis, wie man ihn früher schrieb, Hafez, wie man ihn heute entsprechend der Aussprache seines Namens schreibt. In seinem „Diwan“ besang er die Schönheit und Reize der Frauen, aber er schrieb auch über Trennung und Sehnsucht. Seine Gedichte haben Goethe zu seinem West-östlichen Diwan angeregt, vor zwei Jahren hat er Günther Uecker zu Aquarellen inspiriert. Jetzt wurden sie in der Reutlinger Siebdruckfirma Graffiti gedruckt und sind jetzt nach Ausstellungsstationen in Shiraz und Wolfenbüttel im Reutlinger Spendhaus zu sehen: Huldigung an Hafez.

Schon die erste Gedichtzeile, die Uecker für seine Huldigung ausgewählt hat, zeigt das Zwiespältige in Hafez‘ Gedankenwelt: Vom Lächeln der Blume ist da die Rede, in der aber nichts von Verheißung liege, nichts von Treue oder Versprechen. Entsprechend hat Uecker neben einer kaltblauen abstrakten Fläche zwei blutrote Blüten zu Papier gebracht. Und auch bei seinem zweiten Blumenmotiv in diesem Huldigungszyklus wählte Uecker tiefes Rot, denn da setzt bei Hafez die Liebe die ganze Welt in Flammen.

Doch so direkt übertrug Uecker selten das Wort ins Bild, meist übersetzte er die Verse in abstrakte Malerei, griff dabei entweder den Rhythmus der Sprache auf oder den der unseren Augen so fremden arabischen Schrift, die ja auf uns mehr wie ein Ornament wirkt denn wie ein Kommunikationsmittel; es sind bereits Bilder. Daher hat Uecker in der Regel Hafez‘ Gedichte im Originaltext mit auf die einzelnen Blätter drucken lassen, aus denen er dann handschriftlich einige wenige Zeilen auf deutsch hinzufügte. So ergibt sich ein graphisch spannendes Abenteuer von Originalschrift, deutscher Übertragung, wie sie sich Uecker handschriftlich angeeignet hat, und graphischem Kommentar. Uecker illustriert nicht, Uecker antwortet auf Hafez mit den Mitteln seiner Kunst.

Dass da auch der Nagel nicht fehlen darf, ist verständlich, schließlich ist diese Huldigung eine sehr persönliche Reaktion des Künstlers auf den Dichter, und zu den Merkmalen der Ueckerschen Kunst gehörten nun einmal von Anfang an Nägel, die er oft in runden wirbelnden Figuren rhythmisch ins Holz trieb. Für seinen Hafez-Zyklus ließ er davon weiße Prägedrucke anfertigen, und siehe da, die Nagelabdrucke wirken wie ganz eigene Schriftzeichen.

Uecker setzte bei dieser Hommage an den Dichter alle Möglichkeiten von Wort und Zeichnung ein: Mal enthalten seine Blätter das arabische Original, die deutsche Übertragung und die Zeichnung, mal nur das deutsche Zitat mit der Zeichnung, mal auch nur die reine Zeichnung. Der Text des Dichters wurde von ihm aufgesogen und mit eigenen Mitteln neu gestaltet.

Symbolik spielt bei Uecker eine wichtige Rolle. Der Nagel kann an die Leiden Christi erinnern, man kann in ihm ein Zerstörungsinstrument im Holz sehen, aber auch die Möglichkeit, Dinge miteinander zu verbinden. Erde und Sand, mit denen er oft gearbeitet hat, sind Symbole des Vergänglichen, im Fall seines Hafez-Zyklus ist der Einsatz von Sand, der über ein Bindemittel auf Papier in runden linearen Strukturen haften blieb, Symbol für eine Wallfahrt nach Shiraz, die Uecker tatsächlich unternommen hat. Der Sand stammt aus Hafez‘ Heimat.

Für die Mappenedition, die nach den Aquarellen entstand, hat die Reutlinger Siebdruckfirma Graffiti ein aufwändiges Druckverfahren gewählt. Uecker brachte zunächst die deutschen Zitate und Zeichnungen schwarz auf Plastikfolien auf, mal mit dem Pinsel, nicht selten mit den Fingern – handschriftlich buchstäblich; dann wurden die Folien in zahlreichen Schritten fotomechanisch übertragen, wobei pro Farbe mehrere Druckschritte nötig waren. Das Resultat ist frappierend. Man meint, Bilder vor sich zu haben, die der Künstler selbst direkt auf das dicke weiße Papier gezeichnet hat. Von Druckgraphik keine Spur, hier scheint die Handschrift des Künstlers unmittelbar gewirkt zu haben, die Zwischeninstanz „Druck“ scheint überwunden. So atmen diese Blätter Leichtigkeit, Transparenz und Farbenfülle, und man meint bei den Farbflecken, die Uecker ursprünglich mithilfe von Druckplättchen aufs Papier gebracht hatte, noch die unterschiedlich dicken Farbschlieren spüren zu können. Ein poetisches Meisterwerk in brillanter drucktechnischer Realisierung.

 

Günther Uecker – Huldigung an Hafez“, Städtisches Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen bis 5.3.2017. Katalog 184 Seiten, 39 Euro

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