Wege in Rom – Künstler unserer Tage in der Villa Massimo

Für Hans Magnus Enzensberger war Rom ein „unkalkulierbarer, produktiver, phantastischer Tumult“, selbst der ewig spöttelnde Thomas Bernhard sah in der Stadt das „heutige Zentrum der Welt“. Kein Wunder, dass die Stadt der Antike und der Renaissance seit Jahrhunderten Künstler angezogen hat. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist die dort gelegene Villa Massimo durch den jährlich vergebenen Rompreis Möglichkeit für Künstler, ein Jahr ohne Sorgen um Kost und Logis nur ihrer Kunst leben zu können. Wie unterschiedlich die Reaktionen im Bereich bildender Kunst ausfallen können, zeigt eine Ausstellung im Kunstmuseum Hohenkarpfen: „Erinnerung an das Schöne. Süddeutsche Künstler in der Villa Massimo in Rom“. 

Was Robert Förch, als er sich dreißigjährig 1962 in der Villa Massimo aufhielt, an der ewigen Stadt am Tiber faszinierte, sieht man auf jedem Blatt. Auf seinen Linolschnitten sieht man die großen Bauwerke: alte Fassaden, die Porta Flaminia, den Aventin. Aber wie immer, wenn Förch sich Städten und Landschaften widmete, vermengte er Vergangenheit und Gegenwart. Das hatte er schon zuvor am Beispiel Dublin getan. In Rom entdeckte er einen Blumenstrauß auf der Straße, der dem damaligen Papst Johannes XXIII. zugeworfen worden war. Dass Nonnen in Rom auf der Straße zu sehen sind, scheint nichts Besonderes, doch wie sie bei Förch fast verschüchtert, nichts als die Straßen sehend, dahinhuschen, macht sie fast zu einem Anachronismus. Wenn er eine Ruine porträtiert, sieht man im Hintergrund ein altes Bauwerk, davor fünf weiße Autos, zusammengewürfelt wie auf einem Autofriedhof. Verehrung und sarkastische Ironie sind hier zur Einheit gebracht, Porträt des Alten in einer Welt von heute, bzw. 1961.

Weiße Autos hatten es auch dem Fotografen Olaf Unverzart angetan. Er entdeckte, mit dem Fahrrad unterwegs, den weißen Fiat Panda als Symbol für Italien, das Italien der kleinen Leute und fast schon, wie die Nonnen bei Förch, ein Symbol einer alten Welt, meist in Grenzsituationen – dicht an einem Berghang, vereinzelt vor einem alten Haus, abgestellt in einem Hintereingang, stets ohne Fahrer, nur das Automobil. Auch das ist Italien, wenn auch nicht Rom. 

Von antiker Architektur oder römischer Gegenwart findet sich auf den Bildern, die Emil Kiess 1960 in Rom auf die Leinwand bannte, auf den ersten Blick nichts. Es sind abstrakte Farblandschaften, nicht selten in Grautönen, aus denen sich kleine Farbelemente herausschälen. Diesen Stil, den er bereits voll entwickelt hatte, behielt er auch in Rom bei, und doch hinterließ die Stadt ihre Spuren in seinen Gemälden. Die Farbpalette – zuvor in Deutschland noch düster in der Farbgebung – hellte sich auf, der Farbe mischte er Sand vom Strand von Ostia bei, das macht die Bildoberflächen matt, aber zugleich auch ungemein haptisch. Man meint, Sandstrände erkennen zu können, alte Häuserfassaden, in denen sich gelegentlich kleine Durchblicke auftun, als seien es Fenster in eine andere Welt, die auch Italien ist, sich aber hinter der obersten Farbfläche, den „Hausfassaden“, gewissermaßen verstecken. Sogar ein leuchtendes Blau findet sich, bezeichnenderweise zum Thema „Adria“. Ein Maler, der in seinen bereits voll entwickelten Stil die neue, bis dahin fremde Welt, aufsog – Italien abstrakt.

Auch Ralph Fleck widmete sich einer Facette dieser Stadt, allerdings einer, die der Tourist nicht aufsucht: Es waren Baumstämme und Schlachthäuser. Von diesen Bildern findet sich in der Ausstellung kein Beispiel, wohl aber von einem Raubtierkopf, den er möglicherweise in Rom gesehen hat und der mit groben Pinselstrichen porträtiert ist, eine Malweise, die sich in einem Bild vor seinem Romaufenthalt schon andeutungsweise zeigt, die danach aber, bei einer Reise zu den Seerosenteichen von Claude Monet in Giverny, voll ausgeprägt ist. Aus der Ferne sehen wir Porträts von Teichen, sogar mit den sich darin kopfüber spiegelnden Besuchern, aus der Nähe sieht man nichts als Farbe, vehement auf die Leinwand gebracht – eine Auseinandersetzung mit dem Gegenstand und der reinen Malerei in einem Bild. 

Nur Wolfgang Henning scheint sich geradezu in ehrfürchtiger Scheu in Rom von Rom abgewandt zu haben. Er befasste sich 1978 mit einem Künstler aus dem Norden Deutschlands, Caspar David Friedrich. Von ihm wählte er sich den weniger bekannten „Morgennebel im Gebirge“ und schuf Reminiszenzen an dieses Bild, auf denen – ganz in Schwarz- und Grautönen des Graphitstifts – gelegentlich noch die von Friedrich gemalten Berggipfel zu sehen sind, meist aber nur Nebelschwaden, abstrakte Graphitlandschaften, die den Betrachter magisch anziehen – ein Stil, der bereits vor Rom in seinem Schaffen angelegt war, als er aus nächster Perspektive seinen Arm porträtierte, dessen Härchen im Vergleich zu den in Rom entstandenen Zeichnungen gleichfalls wie Nebelschwaden aussehen. Vier Jahre nach Rom mischen sich dann menschliche Figuren in seine Arbeiten, eine Jagdgesellschaft beispielsweise – ein Künstler, für den Rom offenbar eine Art Endpunkt seines bis dahin entwickelten Schaffens markiert. Auch das gehört zur Villa Massimo in Rom: freie Kunst ohne jede Verpflichtung, die doch auf die jeweils mit dem Rompreis und einem Aufenthalt in der Villa Massimo Ausgezeichneten nicht ohne Wirkung blieb.

Erinnerung an das Schöne. Süddeutsche Künstler in der Villa Massimo in Rom“, Kunstmuseum Hohenkarpfen bis 12.11.2023, Katalog 96 Seiten

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