Archiv des Autors: Dr. Rainer Zerbst

Kunst-Welten. Graphik von Kristin Grothe im Kunstmuseum Albstadt

Für eine Radierung muss man eine Druckplatte gewissermaßen verletzen – eine Metallplatte beispielsweise mit einer scharfen Nadel ritzen oder durch Säure verätzen. Was sich nach Einfärbung der Platte in den Vertiefungen an Farbe festsetzt, erscheint dann auf dem Papierdruck als Linie oder wolkige Fläche. Felix Hollenberg, ein Meister der Radierung, hat vor hundert Jahren die zum Teil raffinierten technischen Möglichkeiten in einem Handbuch beschrieben, das freilich erst 2008 vollständig im Druck erschien. Von seinem Radierwerk befinden sich im Kunstmuseum Albstadt mehr als tausend Arbeiten. Daher verleiht das Museum seit 1992 den nach ihm benannten Preis für Druckgraphik. Die jüngste Preisträgerin Kristin Grothe führt die zum Teil raffinierten Möglichkeiten dieser Kunstform subtil weiter.

Ohne Titel. Aus der Folge „Raumvision“, 2003 © VG Bild-Kunst, Bonn, 2023. Foto: U. Schäfer-Zerbst

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Tier-Bilder im Museum Art.Plus in Donaueschingen

In Albert Camus‘ Roman Die Pest sind sie die Vorboten der tödlichen Seuche – die Ratten, die bei uns ohnehin ein schlechtes Image haben. Ganz im Unterschied zur Eule, die als weise gilt, dem Hund, der manchen Inbegriff der Treue ist. Vielen Tieren schreiben wir Eigenschaften zu, die sich freilich von denen in anderen Kulturkreisen unterscheiden. Und wenn sich Künstler diesen Lebewesen widmen, sieht das Bild noch einmal anders aus, wie man derzeit im Museum Art.Plus in Donaueschingen nachvollziehen kann.

Friedemann Flöther, Einhorn, 2009/10. Foto: U. Schäfer-Zerbst

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Sur-Real: Raumbilder von Ben Willikens im Schauwerk Sindelfingen

Nur ein Prozent der Deutschen hat Grau zur Lieblingsfarbe erkoren – kein Wunder: Zwar werden mit diesem Gemisch aus Schwarz und Weiß auch Würde oder Weisheit assoziiert, meist jedoch Eintönigkeit, Langeweile, Einsamkeit – oder auch das Grauen. Für den Maler Ben Willikens wohl Letzteres, was möglicherweise auf ein traumatisches Erlebnis in seiner Kindheit zurückzuführen ist, und es blieb nicht das einzige Trauma, das sich seinem Gedächtnis eingegraben und sein Schaffen geprägt hat. Wie zentral das Gedächtnis für diesen Künstler ist, macht das Schauwerk Sindelfingen jetzt bereits im Titel einer großen Retrospektive deutlich: „Ben Willikens. Raum und Gedächtnis“.

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Abenteuer für die Augen: Italienische Kunst im Museum Ritter

Tempo prägte den Beginn der Moderne in der italienischen Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Futurismus wollte das neue Lebensgefühl der Welt des Automobils und des Flugzeugs verherrlichen. Was sich seitdem an Modernität in Italien künstlerisch getan hat, kann man in einer Ausstellung im Museum Ritter nachvollziehen – nicht kunsthistorisch lückenlos und repräsentativ; der Ausstellungstitel ist Programm: „Kunst aus der Sammlung Marli Hoppe-Ritter“, die Ausstellung ist aber deswegen keineswegs einseitig.

Piero Dorazio, Excess, 1998 VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: U. Schäfer-Zerbst

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Vom Sinn zur Ästhetik: Şakir Gökçebağ im Museum Ritter

Sie stellten die künstlerische Freiheit des Einzelnen über alles, machten aus Alltagsobjekten Kunst: die Dadaisten. Marcel Duchamp erhob gar ein Pissoir zum Kunstwerk. Demgegenüber zählten für die Vertreter der Konkreten Kunst allein die Linie, die Fläche, das System. Der 1965 geborene Türke Şakir Gökçebağ, der seit zwanzig Jahren in Hamburg lebt und arbeitet, steht gewissermaßen zwischen diesen Polen, wie jetzt eine Ausstellung im Museum Ritter in Waldenbuch zeigt, und schlägt dabei so manche Volte: „Twists and Turns“.

Paraboloid, 2014 © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Şakir Gökçebağ

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Malerische Welten: Neue Bilder von Anna Bittersohl in der Galerie Schlichtenmaier

Jedes Kunstwerk, ob Graphik oder Gemälde, ist ein Artefakt. Mag es noch so sehr wie ein perfektes Abbild der Realität wirken, zum Beispiel das Rasenstück von Albrecht Dürer – es besteht doch nur aus ein paar Linien und Farbflecken und ist insofern letztlich ein abstraktes Gebilde. Genau dieses perfekte Changieren zwischen Realitätsnähe und künstlichem Gebilde macht das Wesen der Bilder der Malerin Anna Bittersohl aus.

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Zu wenig Hoffmann: Edward Clugs Nussknacker am Stuttgarter Ballett

Vor sechzig Jahren schuf Jürgen Rose in Stuttgart das Bühnenbild zu John Crankos Ballett Romeo und Julia. Es war der Auftakt zu einer intensiven Zusammenarbeit mit diesem inzwischen legendären Choreographen bis zum frühen Tod von Cranko und der Beginn einer Weltkarriere des Bühnen- und Kostümbildners Rose. Jetzt hat er mit Tschaikowskys Nussknacker wieder Bühnenbild und Kostüme für das Ballett in Stuttgart kreiert – und auch mit 85 Jahren ist die Fülle seiner kreativen Fantasie grenzenlos.

Ensemble © Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett

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Bildhauerei? Kubus. Sparda-Kunstpreis 2022

Sie zählt zu den ältesten erhaltenen Kunstwerken überhaupt – die Skulptur, nicht zuletzt, weil sie bereits in der Antike aus Stein hergestellt wurde, daher auch der Begriff, abgeleitet vom lateinischen Verb für „schnitzen“ oder „meißeln“. Nicht durch „Abtragung“ von Material, sondern durch aufbauendes Hinzufügen entstehen Plastiken. Beiden gemeinsam: sie sind raumgreifend, dreidimensional. Im 20. Jahrhundert hat sich das Formen- und Materialspektrum erweitert bis hin zu den Readymades aus Alltagsobjekten eines Marcel Duchamp. Für den alle zwei Jahre verliehenen Sparda-Kunstpreis Kubus wurde diesmal das Thema „Zeitgenössische Bildhauerei“ vorgegeben. Das Kunstmuseum stellt drei Positionen vor: Ulla von Brandenburg, Camill Leberer, Ülkü Süngün.

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Kunstgeschichtlicher Parforceritt: „Mit Blick auf Adolf Hölzel“ im Kunstmuseum Reutlingen

Es gab in der Malerei des 20. Jahrhunderts viele Wege in die Abstraktion, präziser: die ungegenständliche Kunst. 1915 präsentierte Kasimir Malewitsch revolutionär nichts als ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund, wenige Jahre danach befand Theo van Doesburg, nur Linie, Farbe und Fläche seien die wesentlichen Elemente der Malerei. Andere Künstler gingen von der gegenständlichen Malerei aus und fanden zur Überwindung des Gegenstands durch Abstrahierung. So etwa Adolf Hölzel, der von 1905 an als Professor an der Stuttgarter Kunstakademie die Gesetzmäßigkeiten von Farbe, Linie und Form analysierte und seinen Schülern beibrachte. Von ihm ausgehend versucht nun das Kunstmuseum Reutlingen „zwei Entwicklungslinien der Kunstgeschichte nachzuzeichnen“, die von der auf der „Figur basierenden gegenständlichen Kunst über die Abstraktion zur ungegenständlichen Kunst führen“, so der zentrale Satz eines einführenden Wandtextes.

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Chemie als Lebenselixier: Donizettis L’Elisir d’Amore an der Oper Stuttgart

Diese Oper ist eine Herausforderung an Regisseure, denn streng genommen bietet sie nicht viel, zumindest an Handlung. Ein Dorf in der Provinz, die kokette Pächterin Adina, der fahrende Händler Dulcamara, Belcore, ein Militärsergeant, und Nemorino als „Held“, den alle für einen Trottel halten – kein Wunder, dass Regisseure sich immer wieder bemüht sehen, Donizettis Oper Der Liebestrank in ein anderes Ambiente zu verlegen: Von einem Badestrand bis zu einem Wellnesshotel war alles dabei; Rolando Villazón ließ die Geschichte in seiner Inszenierung im Baden-Badener Festspielhaus an einem Westernfilmset spielen mit Adina als Filmstar und Nemorino als kleinem Komparsen.

Laia Vallés (Gianetta), Claudia Muschio (Adina), Staatsopernchor Stuttgart. Foto: Martin Sigmund

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