Symbole für die Schöpfung: Der Bildhauer Jems Koko Bi

Wäre Jems Koko Bi der Tradition seiner Heimat gefolgt, hätte er sich der Schnitzerei von Masken verschrieben, die zum Teil in seiner Heimat als heilig verehrt werden, schließlich war sein Onkel, bei dem er aufwuchs, in dem Heimatdorf „Hüter der Masken“. Er aber ging auf die Kunstakademie in Abidjan, und dort brachte ihn ein deutscher Gastdozent auf die Idee, Skulpturen in Holz und Stein zu hauen. Koko Bi war jedoch in seiner Heimat derart verwurzelt, dass er erst die Ältesten in seinem Heimatdorf fragte, ob er damit nicht religiösen Frevel begehen würde. Sie beruhigten ihn, denn in Abidjan gebe es das von ihnen als heilig verehrte Holz nicht. Das Kunstmuseum Reutlingen zeigt nun eine große Einzelausstellung.

Knapp sechzig Teile umfasst eine große Rauminstallation im 1. Stock des Reutlinger Spendhauses. Es sind acht Olivenbäume – Bäume, die freilich nie mehr Früchte tragen werden: Die Rinde ist abgefallen, die Stämme und Wurzeln sind verdorrt – Symbole für den Raubbau der Menschen an alten Kulturpflanzen, die aus ihrer Heimat in den kalten Norden exportiert werden, wo sie zugrunde gehen. Umringt sind diese Zeugnisse unnatürlichen Verhaltens der Gesellschaft der Natur gegenüber von fünfzig Skulpturen, kleinen Figuren, kindergleich. Entsetzt starren sie zu den toten Bäumen, recken verzweifelt die Hälse in die Höhe. Es sind Vertreter der künftigen Generationen, die mit der zerstörten Natur auskommen müssen. Tomorrow’s Land heißt die Arbeit.

Koko Bi ergreift mit seiner Kunst Partei für den Erhalt der Natur. Der Stoff, aus dem seine Skulpturen sind, ist ihm nicht Material, sondern Partner. Wenn er mit seiner Kettensäge die Formen ausschneidet, hält er nach eigener Aussage Zwiesprache mit dem Holz. Darin ist er ganz Kind seiner Heimat, dem Land der Guru an der Elfenbeinküste. Wenn sie ihre heiligen Masken schnitzen, verwenden sie das Holz des Irokobaums, für sie ein heiliges Holz, weil darin nach ihren Vorstellungen ein Gott wohnt.

So weit geht Koko Bi nicht, er ist wie sein Vater Christ, aber er ist durchaus noch erfüllt von den Vorstellungen seiner Landsleute, mit denen er groß geworden ist. Für ihn ist der Baum nicht heilig, aber er steht gleichberechtigt neben allen Lebewesen. In diesem Kosmos gibt es keine Unterschiede, auch keine unterschiedlichen Wertzuweisungen, auch der Mensch ist Teil wie jedes Tier, jede Pflanze. Für Koko Bi ist der Baum Heimat, Partner, fast Bruder. In einer Arbeit verkriecht sich eine männliche Figur ganz in einen Holzstamm, der ihr Refuge (Zuflucht) gibt, so der Titel der Arbeit.

Koko Bis Arbeiten sind stets symbolhaltig, geprägt von zahlreichen Naturvorstellungen, sind aber gleichwohl durchaus für jeden nachvollziehbar und verständlich, man muss nur alle Details aufnehmen und zu einer Deutung fügen.

In der Reutlinger Ausstellung befinden sich zwei Figuren, die zu einer großen mehrteiligen Arbeit zum Thema Gericht gehören. Es sind Jurés (Geschworene), die sich die Klagen der Natur, in diesem Fall der Bäume, anhören und ihr Urteil über die Menschen fällen. In der Reutlinger Ausstellung ist das geradezu wie in einer realistischen Szene arrangiert. Im Erdgeschoss meint man nämlich, in einen tiefen Wald einzutauchen. Die dunklen Holzträger der Raumdecke tragen das Ihre dazu bei. Hier findet das Gericht statt, und die Geschworenen haben statt menschlicher Köpfe neutrale Quader, um ihr Urteil frei von jeglicher Subjektivität ausüben zu können. Riesige Wächterfiguren beschützen dieses Waldambiente – sie haben keinen Kopf, sondern weisen mit der Hand eindringlich auf ihr Herz – das eigentliche Organ, das über Recht und Unrecht entscheiden sollte.

Mit solchen Vorstellungen trifft sich der Künstler von der Elfenbeinküste mit dem schwäbischen Holzschneider HAP Grieshaber, der im Reutlinger Kunstmuseum mit seinem Werk umfassend vertreten ist. Daher hängen an den Wänden denn auch Beispiele von dessen künstlerischem Engagement für Freiheit und Umwelt.

Wandte sich Grieshaber gern gegen konkrete Missstände wie etwa das Entlaubungsgift Agent Orange, das im Vietnamkrieg eingesetzt wurde, sind Koko Bis Aussagen allgemeiner, und damit ungleich universaler. Sie gehen auch weit über ein reines Umweltengagement hinaus. Seine Kunst propagiert ein umfassendes Weltverständnis. Immer wieder mutieren Koko Bis Figuren. Menschenfiguren habe Vogelfüße, entwickeln sich aus Pflanzen oder verwandeln sich in solche. Die Welt, so die Aussage, ist nicht unterteilt in Mensch und Tier, Tier und Pflanze, hier ist alles gleichberechtigt und gleichwertig.

Koko Bi hat sich übrigens durch Grieshaber anregen lassen und Holzschnitte angefertigt – ähnlich abstrahiert, aber auch hier geprägt von der Vorstellungswelt seiner Herkunft. So hat er mit einem Holzschnitt seinem Vater ein Denkmal gesetzt, das den Zwiespalt in dessen Existenz symbolisch deutlich macht. Als Vertreter der Guru-Ethnie war er verwurzelt in den indigenen Naturvorstellungen, als Christ aber nahm er zugleich eine Gegenposition ein. So zeigt der Holzschnitt die Verschmelzung unterschiedlicher Lebensbereiche: Ein Vogelfuß geht in ein pflanzliches Gebilde über, daneben befindet sich ein Menschenkopf. Beide Gebilde sind unten miteinander verwachsen, haben also einen gemeinsamen Ursprung, blicken aber in entgegengesetzte Richtungen. Das ist Verwurzelung im Denken seiner afrikanischen Heimat, Bild gewordene Symbolik und moderne Stellungnahme zum Leben heute. 

Das zeigt auch seine mit Mother Wood betitelte Arbeit. Das Wort erinnert an „Motherhood“, und die Arbeit zeigt genau das: einen Frauenkopf oben, die noch ungeborenen Kinder in Form abstrahierter Köpfe unten im Mutterleib. Das ist die Sphäre der Natur. Dazwischen mischt sich die Naturwissenschaft in Form einer Doppelhelix. Beide Bereiche – Naturwissenschaft und Natur selbst – werden zur Synthese gebracht, sollen sich nicht als Gegensätze gegenüberstehen oder gar in ein Unterordnungsverhältnis gezwängt werden. Und so wie Koko Bi in solchen Arbeiten verschiedene Weltmodelle symbolisch zur Synthese bringt, vereint er in seinem Schaffen afrikanische Vorstellungswelten mit zeitgenössischer Kunst und universalem Naturschutzdenken.

Im Wald geboren. Jems Koko Bi – HAP Grieshaber“. Kunstmuseum Reutlingen bis 16.8.2020

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